Auf den ersten, flüchtigen Blick wirkt die Heide im Januar eher trist – vor allem, wenn der Himmel wolkenverhangen ist und kein Schnee die verwelkten Gräser und Heidesträucher bedeckt. Aber solche Tage sind die beste Gelegenheit, Gewächse zu entdecken, die im Frühjahr und Sommer eher übersehen werden: Flechten, Moose und Pilze.
Begleiten Sie mich auf einen kleinen Ausflug ins Naturschutzgebiet Lüneburger Heide – zu den Schönheiten, die man oft erst bei genauem Hinsehen entdeckt.
Die Echte Rentierflechte (Cladonia
rangiferina) ist, wie schon ihr Name nahelegt, ein Gewächs der alpinen Tundra; sie wächst aber in allen gemäßigten Zonen der Nordhalbkugel . Vor allem auf kargen, besonnten Böden bildet sie dichte Teppiche. Ihr helles Grün und ihre fein verästelten Strukturen bereichern auch die Landschaft der Heide.
In den nordischen Ländern stellt die Flechte eine wichtige Nahrungsquelle für Rentiere dar. Wegen ihrer entzündungshemmenden Eigenschaften wird sie aber auch als Heilpflanze genutzt.
Wie viele Flechtenarten reagiert auch Cladonia rangiferina empfindlich auf Luftverschmutzung; dass sie bei uns in der Heide so gut gedeiht, ist also ein Kompliment für die Luftqualität hier.
Nicht ganz so verbreitet wie die Rentierflechte, aber unübersehbar: Der "Goldgelbe Zitterling" (Tremella mesenterica) leuchtete mir von einer Eiche am Wegesrand entgegen.
Der Pilz wächst an toten, aber noch ansitzenden Ästen und Zweigen, allerdings nicht direkt auf dem Holz, sondern auf einer Grundlage, die zuerst ein anderer Pilz geschaffen hat: Zystidienrindenpilze befallen stark geschwächtes Laubholz; auf ihrem Myzel nistet sich dann der Zitterling ein – ein klassischer Parasit.
Der gelbliche bis ins leuchtend orangefarbene Fruchtkörper des Zitterlings kann einen Durchmesser von bis zu zwölf Zentimeter erreichen. Und wie seine Farbe schon signalisiert, ist er ungenießbar.
Mit seinen leuchtend roten "Blüten" – eigentlich Hüllblätter – ist das Haartragende Frauenhaar-Moos (Polytrichum piliferum) ein echter Blickfang. Seine Sporenkapseln sitzen auf haarfeinen, mehrere Zentimeter hoch aufragenden Stängeln.
Das Moos wächst an kalkfreien, sonnig-trockenen Plätzen und ist weltweit verbreitet, denn es gehört zu den besonders anpassungsfähigen Arten. Dafür sorgen gleich mehrere Eigenschaften: Die durchscheinende Oberseite der Blättchen verringert die Verdunstung, die glänzenden Unterseiten reflektieren Wärme und Licht; ebenso die "Haare", an denen außerdem Tau kondensiert – wichtig für eine Pflanze, die vor allem auf exponierten Standorten gedeiht.
So übersteht sie sogar Temperaturen bis 70 Grad Celsius.
Die Bestimmung von Flechten – über 2000 Arten gibt es allein in Deutschland – ist eine Wissenschaft für sich. Aber manche Gewächse machen es einem leicht: Die Trompetenflechte (Cladonia fimbriata) ist durch ihre Form unverwechselbar. Sie siedelt gern auf alten Baumstümpfen, ist aber auch auf sandigen Böden, wie sie bei uns in der Heide häufig sind.
Lange Zeit hielt man Flechten für Algen oder Auswüchse von Bäumen; erst 1869 entdeckte ein Schweizer Botaniker, dass sie Doppelwesen sind – Lebensgemeinschaften aus Algen und Pilzen. Anders als letztere zersetzen sie ihre Unterlagen jedoch nicht; zum Überleben reichen ihnen geringe Mengen an Nähr- und Mineralstoffen, die angeweht oder vom Regen angeschwemmt werden.
Die Cladonia-Flechten bilden eine Großfamilie mit über 70 nachgewiesenen Arten allein in Deutschland. Einige Arten sehen sich so ähnlich, dass sie nur für Kenner sicher zu unterscheiden sind. Das Gewächs, das ich entdeckt habe, könnte eine Echte Scharlachflechte sein (Cladonia coccifera) oder auch eine Rotfrüchtige Säulenflechte (Cladonia macilenta). Beide Arten gedeihen auf sauren, mageren Böden, beide sind ziemlich selten.
Und beide fallen durch ihre prächtigen roten Fruchtkörper auf. Diese werden vom Pilzpartner der Flechte gebildet, sie enthalten die Sporen, mit denen das Gewächs sich fortpflanzt.
Allen, die mehr über das Leben von Flechten und Moosen erfahren möchten, empfehle ich die beiden unten verlinkten Videos des NABU Soest. Sie zeigen etwa, weshalb die Flechten-"Partner", bestimmte Gruppen von Schlauchpilzen und Grün- oder Blaualgen, nur gemeinsam existieren können: Die einen sorgen durch Photosynthese für Nahrung, die anderen bieten durch Pigmentbildung Schutz vor starker Sonneneinstrahlung. So können sie gemeinsam sogar extreme Standorte besiedeln, wie etwa nackte Felsen.
Beim Bestimmen hilft der Ulmer-Taschenatlas "Flechten und Moose", der 290 der häufigsten heimischen Arten in Text und Fotos vorstellt.
Text und Fotos: Peter Mohr
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