Es gibt zurzeit kein Umweltthema, das in unserer Region so intensiv diskutiert wird wie die Pläne zum Ausbau der Windkraft. Bis Ende 2032 soll der Landkreis Harburg 3,16 Prozent seiner Fläche für die Errichtung von Windenergieanlagen (WEA) zur Verfügung stellen, insgesamt knapp 4000 Hektar. Weil große Gebiete von vornherein von der Planung ausgeschlossen sind – u.a. Wohnsiedlungen, Verkehrswege, Natur- und Vogelschutzgebiete – sind andere Gebiete überproportional davon betroffen. Darunter das der Samtgemeinde Salzhausen, die nach jetzigem Stand 1347 Hektar für Windkraft zur Verfügung stellen soll. Das sind 9,1 Prozent ihres Gesamtgebiets.
„Man soll Klimaschutz und Naturschutz nicht gegeneinander ausspielen“ – diese Forderung wird fast immer laut, wenn es zu Konflikten zwischen beidem kommt. Oft wird sie als Ermahnung verstanden, diese Konflikte nicht zu offen auszutragen. Wir sind jedoch überzeugt: Wenn Maßnahmen zum Klimaschutz die Natur bedrohen, muss man das offen ansprechen. Nur so erreicht man sachgerechte Lösungen, die beiden Schutzgütern gerecht werden.
Unsere Position zum Thema Klimaschutz vs. Naturschutz stützt sich auf drei Grundsätze:
- Die globale Klimaerwärmung ist real, ebenso, dass sie durch menschengemachte Treibhausgasemissionen verursacht wird. Deutschland hat sich auf Basis des Pariser Klimaabkommens von 2015 gesetzlich verpflichtet, spätestens ab 2045 klimaneutral zu wirtschaften; die Verbindlichkeit dieses Ziels hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 29. April 2021 nochmals gestärkt.
- Um dieses Ziel zu erreichen, ist der Ausbau Erneuerbarer Energien, allen voran von Wind- und Solarkraft, unumgänglich. Andere Formen der Energieerzeugung, wie Agrargas/-sprit und Wasserkraft, haben allenfalls marginale Bedeutung. Holzverbrennung, obwohl von der EU als „nachhaltig“ eingestuft, ist nicht klimaneutral, weil dabei pro Einheit sogar mehr CO2 frei wird als beim Verfeuern von Kohle.
- Naturschutz und Klimaschutz haben gleiche Priorität. Denn der anhaltende Verlust der biologischen Vielfalt bedroht die Menschheit ebenso sehr wie die Erderhitzung; die Übernutzung und Zerstörung natürlicher Biotope trägt überdies erheblich zum Ausstoß von Treibhausgasen bei. Umgekehrt können intakte und wiederbelebte Ökosysteme große Mengen Kohlenstoff speichern und die Folgen der Klimakrise mildern. Eine Energiewende kann daher nur nachhaltig und langfristig wirksam sein, wenn sie auch naturverträglich ist.
Diesen letzten Grundsatz sehen wir zurzeit nicht ausreichend berücksichtigt – weder in unseren Samtgemeinden noch im Rest des Landes. Denn:
- Mit dem 2022 verabschiedeten Gesetzespaket zur Beschleunigung der Energiewende hat die Ampel-Regierung den Naturschutz zugunsten des Ausbaus der „Erneuerbaren“ so drastisch beschnitten wie keine Regierung der vergangenen Jahrzehnte. Sie hat, unter anderem, Landschaftsschutzgebiete für Windkraftanlagen (WEA) geöffnet, die Mindestabstände der Anlagen zu Brut- und Rastplätzen windkraftgefährdeter Arten deutlich reduziert, ebenso die Zahl der Arten, die bei Planungen überhaupt zu berücksichtigen sind. Beides entgegen fachlicher Empfehlungen, die sich auf langjährige, nach wissenschaftlichen Standards erhobene Beobachtungsdaten stützen. Mehrere nachweislich kollisionsgefährdete Vogelarten wie Kiebitz, Wiedehopf, Ziegenmelker, Schwarzstorch und Mäusebussard bleiben nun völlig ohne Schutz, obwohl sie entweder selten oder von deutlichen Bestandsrückgängen betroffen sind.
Auch sind WEA-Betreiber nicht mehr verpflichtet, die Umweltverträglichkeit geplanter Anlagen in gesonderten Prüfungen nachzuweisen – die Naturschutzbehörden berücksichtigen in Planungsverfahren lediglich bereits vorhandene Daten zum Vorkommen gefährdeter Arten und Lebensräume. Diese Daten sind aber oft lückenhaft oder schlicht nicht vorhanden.
Der Rotmilan gilt als "windkraftsensible" Art, weshalb Anlagen Mindestabstände zu seinen Nestern einhalten müssen. Mäusebussard, Schwarzstorch und Kiebitz brauchen dagegen bei Windkraft-Planungen nicht berücksichtigt zu werden, obwohl sie ebenso durch die Rotoren gefährdet sind
- Selbst wenn alle WEA-Planungen in unseren Gemeinden mit maximaler Rücksicht auf Natur- und Artenschutz erfolgen (und wir sind sicher, dass die Naturschutzbehörde unseres Landkreises dafür ihr Möglichstes tut): Allein die schiere Menge der vorgesehenen Anlagen wird Natur und Landschaft unserer Region irreversibel schädigen. Wenn alle derzeit ausgewiesenen Vorrangflächen mit WEA bebaut werden, dann wird in der Samtgemeinde Salzhausen kein Punkt weiter als 2500 Meter von einem Windrad entfernt sein. Keine noch so großzügige Kompensationsmaßnahme wird die Beeinträchtigung unserer Landschaft auch nur annähernd ausgleichen können. Deren Vielfalt, Schönheit, Eigenart und Erholungswert sind übrigens nicht nur subjektiv empfundene Größen, sondern gesetzliche Schutzgüter mit eigenem Wert – auch wenn dies im Zuge von Planungsverfahren so gut wie nie berücksichtigt wird. Windräder der neuesten Generation überragen, einschließlich ihrer Rotoren, sogar den 267 Meter hohen Hamburger Fernsehturm. In ihrer derzeit geplanten Gesamtheit werden sie einer Teil-Industrialisierung unserer Landschaft gleichkommen – vor allem auf dem Gebiet der Samtgemeinde Salzhausen.
- Zur Beeinträchtigung der Landschaft kommen die Schäden an der biologischen Vielfalt. Dazu zählen nicht nur Todesopfer durch Kollisionen, die schon durch die schiere Zahl der Anlagen wahrscheinlicher werden. Neue Studien belegen etwa, dass vor allem Windräder mit großen Rotoren zu einem Rückgang an Vogelzahl und - artenvielfalt in Wäldern führen – verursacht vermutlich durch die Geräusche der Rotoren. Von diesen Effekten wird vor allem der Wald zwischen Salzhausen, Garstedt und Toppenstedt betroffen sein, in dem allein die Hälfte aller bislang ausgewiesenen Vorrangflächen in der Samtgemeinde liegen.
Was können wir als naturverbundene und betroffene Bürger tun, um diese Eingriffe zumindest abzumildern und in ihren Auswirkungen zu begrenzen?
Wir vom NABU Hanstedt-Salzhausen haben ein paar Anregungen – basierend auf eigenen Recherchen und dem Austausch mit anderen Naturschützern.
- Der Ausbau Erneuerbarer Energien ist kein Naturereignis, sondern ein politischer Prozess, auf den wir als Bürger Einfluss nehmen können. Durch Einsprüche im Rahmen von Genehmigungsverfahren, durch Wortmeldungen bei Kreistags- und Gemeinderatssitzungen, durch Mitarbeit in Bürgerinitiativen. Diese Möglichkeiten werden wir, im Rahmen unserer zeitlichen und personellen Ressourcen, auch als NABU-Ortsgruppe nutzen. Zugleich arbeiten wir daran, uns auf Landesebene mit anderen betroffenen Regionen zu vernetzen. Das Umweltforum Osnabrücker Land etwa, ein landkreisweiter Verbund von 20 lokalen Umwelt-NGOs, schlägt vor, den Flächenanteil der Vorranggebiete für Windkraft auf 4 Prozent pro Gemeinde zu begrenzen – analog zum gesetzlich festgesetzten Maximum auf Landkreisebene. Das würde übermäßige Belastungen für Anwohner und Natur vermeiden. Wir schließen uns dieser Forderung an.
- Das Gesetzespaket zur Beschleunigung der Energiewende von 2023 räumt der Errichtung und dem Betrieb von Erneuerbare- Energie-Anlagen „überragendes öffentliches Interesse“ ein. Das heißt jedoch nicht, dass beides uneingeschränkte Priorität gegenüber Natur- und Artenschutz genießt. So dürfen Naturschutzbehörden den Betrieb von Anlagen nachträglich einschränken, wenn diese bedrohte Arten gefährden – das hat zuletzt das Bundesverwaltungsgericht in einer wegweisenden Entscheidung bestätigt. Experten für Umweltrecht sehen in der Schwächung des Artenschutzes generell einen Verstoß gegen europäisches Recht, wie es etwa in der Vogelschutzrichtlinie festgeschrieben ist – und einen Ansatzpunkt für Klagen gegen künftige EE-Planungen.
- Oft wird davor gewarnt, dass bei Nichterreichen derTeilflächenziele für Wind die „Super-Privilegierung“ drohe – also der Bau von WEA auch außerhalb der ausgewiesenen Vorrangflächen. Das heißt jedoch nicht, dass der WEA-Ausbau dann nach Wildwestmanier erfolgt, im Gegenteil: Beim Bau von Anlagen außerhalb der ausgewiesenen Flächen wird eine gesonderte Umweltverträglichkeitsprüfung fällig; die Auflagen des Natur- und Artenschutzes fallen im Zweifel sogar strenger aus. (Siehe Vorlage VA 0493/2023-01 des Landkreises Harburg (Bau- und Planungsausschuss) vom 31.1.2024)
- Generell gilt: Je mehr und detailliertere Umweltdaten der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) des Landkreises vorliegen, desto größer sind die Chancen, Schäden an der Natur zu mindern und besonders sensible Bereiche von der Planung auszunehmen. Es lohnt sich also auf jeden Fall, die Biotope der eigenen Umgebung genau zu erkunden und zu dokumentieren. Für Vogelbeobachtungen bietet sich dafür die Plattform ornitho.de an; dort kann man auch genaue Standorte von Nestern eingeben – bei planungsrelevanten Arten wie dem Rotmilan sinnvollerweise im geschützten Modus, also nicht öffentlich einsehbar. Die gesammelten Daten lassen sich leicht exportieren und an die UNB weiterleiten.
- Für naturgerechte Planungen sind nicht nur Daten über vorkommende Arten wichtig, sondern auch über geschützte Lebensräume – etwa magere Wiesen, naturnahe Gewässer und Auwälder. (Hier eine vollständige Liste). Anders als der Artenschutz ist der Schutz von Lebensräumen, mitsamt den dort vorkommenden Tier- und Pflanzenarten, durch die neuen Gesetze zum EE-Ausbau nicht eingeschränkt worden – hier gelten also weiterhin die früheren Gesetze. Die auch auf dem Rechtsweg eingeklagt werden können.
Weil es Naturschutz-Engagierten wie uns häufig vorgeworfen wird, möchten wir abschließend nochmals bekräftigen: Wir sind NICHT gegen die Energiewende. Im Gegenteil: Wir sind der Überzeugung, dass zum Erreichen der Klimaziele ein weitaus umfassenderes Umsteuern nötig ist, als es bisher stattfindet. Denn zu einer wirklichen Energiewende gehört, außer dem Ausbau der Erneuerbaren und einer Steigerung der Energieeffizienz, auch der Faktor Suffizienz, also die Reduktion des Ressourcenverbrauchs auf ein ökologisch verträgliches Maß, das zugleich die Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse garantiert.
Eine solche Wende hin zu mehr Suffizienz ist jedoch bisher nicht ansatzweise in Sicht. Weder die amtierende Regierung noch ihre Vorgängerinnen haben es bislang auch nur geschafft, zumindest das Ausmaß der klimaschädlichen Subventionen zu begrenzen, das zurzeit bei 65 Milliarden Euro liegt.
Unser Fazit lautet daher: Solange Politik und Wirtschaft unfähig oder unwillig zu ernsthaftem Klimaschutz sind, solange ist nicht zu rechtfertigen, dass die biologische Vielfalt durch die Priorisierung des Ausbaus Erneuerbarer Energien gegenüber dem Naturschutz gravierend und irreversibel geschädigt wird.
Die Gefahr besteht vor allem dann, wenn der Ausbau in beschleunigten Verfahren und ohne ausreichende Datengrundlage vorangetrieben wird. Dazu besteht aber keinerlei Notwendigkeit. Denn die geplanten Anlagen können ja erst dann Strom liefern, wenn die dafür nötige Begleitinfrastruktur bereitsteht – Leitungen, Umspannwerke, Speicher. Deren Ausbau wird nicht nur viel Geld, sondern auch Zeit kosten. Zeit, die genutzt werden sollte, um Erneuerbare Energien sachgerecht und naturverträglich auszubauen, statt ihre Planung übers Knie zu brechen.
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