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Ein neues Kiesbett für den Nordbach – mit Lebensraum für Forelle, Libelle und Co.

Was macht der Bagger da am Bach? Er steht direkt am Ufer, auf der Ladefläche einen Riesenhaufen Kies, den er Schaufel für Schaufel im Bachbett versenkt. Ziemlich brachial sieht das aus, aber so funktioniert eine seit Jahrzehnten bewährte Methode zur Wiederbelebung ökologisch geschädigter Fließgewässer. Vor Kurzem wurde sie an einem Abschnitt des Nordbachs bei Eyendorf umgesetzt, vom Kreisverband der Wasser- und Bodenverbände Harburg in Zusammenarbeit mit dem Versorger Hamburg Wasser.

Wenn alles so läuft wie geplant, werden demnächst junge Forellen über die neu verlegten Kiesel  flitzen, Libellen über dem Wasser schwirren, vielleicht sogar Bachmuscheln aus dem Boden wachsen… Aber der Reihe nach.

Schaufelbagger im Einsatz am Ufer des Nordbachs bei Eyendorf/ Fotos © J.Romberg

Ursprünglich, von Natur aus, hatten die meisten Heidebäche ein Bett aus grobem Kies. Das war, im Wortsinn, ihre Lebensgrundlage; denn in den Lücken zwischen den Steinen wuchsen, vor starker Strömung und Fressfeinden geschützt, die Larven von Fischen und all den Kleintieren heran, von denen Fische sich ernähren: Köcherfliegen, Zuckmücken, Bachflohkrebse. Dutzende Arten, Abertausende Individuen.

In den 1960er Jahren begannen Gemeinden und Landkreise, Fließgewässer flächendeckend „auszubauen“, um Äcker und Wiesen effektiver zu entwässern. Für Myriaden kleiner Bachbewohner war dies ein Todesurteil; sie landeten mitsamt der ausgebaggerten Kiesschicht vom Bachgrund auf Abraumhalden oder im Baustoffhandel.

Welche fatalen Folgen der Ausbau, teils auch die Verrohrung vieler hundert Bachkilometer hatte – für die Natur, aber auch für Fischerei und Grundwasservorräte – das zeigte sich bereits ab den 1980er Jahren.

 

Im Jahr 2000 erließ die EU die „Wasserrahmenrichtlinie“ (WRRL), die besagte, dass die Mitgliedsstaaten bis 2015 sämtliche Grund- und Oberflächengewässer in einen „guten ökologischen Zustand“ zu versetzen hätten. Der zeigt sich, unter anderem, an weitgehend natürlichen Vorkommen von Wasserpflanzen und Fischen, an naturnahen Ufern und an Schadstoffmengen, die unterhalb fester Grenzwerte liegen.

Ein Schwarm fingerlanger, silbergrau gestreifter Fischchen in einem Bach
Elritzen gehören zu den Fischarten, die vor allem im Kiesbett natürlicher Bäche laichen/ Foto: @Karelj

Wie die meisten Richtlinien zum Schutz der Natur, ob national oder EU-weit gültig, hat auch diese ihr Ziel krachend verfehlt. Bis heute haben in Deutschland gerade mal neun Prozent aller Oberflächengewässer einen „guten“ Zustand erreicht; in Niedersachsen ganze drei. Dieser klägliche Wert spiegelt einerseits das politische Desinteresse an Naturschutz wider – viele lokale NABU-Gruppen können ein Lied davon singen. Der Renaturierungs-Rückstand hat aber auch praktische Gründe: Ein Gewässer zu ruinieren, ist leicht; es wiederzubeleben, erfordert dagegen erheblichen Aufwand. Das gilt selbst dann, wenn man sich auf eine der dringlichsten Erste-Hilfe-Maßnahmen beschränkt: das Verlegen eines neuen Kiesbetts auf dem ausgebaggerten Bachgrund.

Selbst für den rund 60 Meter langen Nordbach-Abschnitt musste Hamburg Wasser etliche Tonnen Gestein heranfahren. Und dann so verlegen lassen, dass der Bach nicht weiterhin auf glatter Bahn schnurgeradeaus fließt, sondern Haken und Kurven schlagen, Hindernisse überwinden, Engstellen passieren muss. „Je mehr sich ein Bach durch die Landschaft quälen muss, desto lebendiger ist er“, lautet ein Grundsatz der Fließgewässerökologie. Denn erst durch „Störstellen“ im Bachlauf, ob natürlich oder künstlich geschaffen, entstehen jene Biotope, die bachbewohnende Organismen anziehen: flache Kiesbänke, auf denen Pflanzen wurzeln und Insekten landen können, tiefe „Gumpen“, in denen etwa Forellen gern auf Beute lauern.

Typische Bewohner naturnaher Fließgewässer: Die Blauflügelige Prachtlibelle und das Neunauge/ Fotos: © Dagmar Jelinek/NABU;  Jelle Wissink

60 Meter renaturierter Bachlauf sind natürlich nicht viel, gemessen an einer Gesamtstrecke von rund fünf Kilometern. Aber die „Operation Nordbach“ ist nur eine von vielen Wiederbelebungsmaßnahmen, die der Harburger Kreisverband der Wasser- und Bodenverbände zurzeit mit initiiert.

Der „WaBo“, wie ihn diejenigen nennen, die häufiger mit ihm zu tun haben, ist (unter anderem) zuständig für Ausbau, Unterhaltung und Entwicklung der Gewässer in seinem Verbandsgebiet – das sind vor allem Luhe, Seeve, Este und deren Nebenbäche. Lange Zeit hat sich der Verband auf die ersten beiden Aufgaben konzentriert, also auf Maßnahmen, die das Wasser der Region möglichst schnell und ohne Staus Richtung Elbe befördern. Denn dafür wurde er ursprünglich gegründet, ähnlich wie Tausende weiterer Wasser- und Bodenverbände, die es Deutschland gibt.

Seit einigen Jahren wenden sich der WaBo Harburg und andere Verbände jedoch zusehends ihrer dritten Aufgabe zu: der Entwicklung von Gewässern, also ihrer Renaturierung. Sie tun das, weil es die EU-Wasserrahmenrichtlinie vorschreibt, aber auch, weil der Klimawandel zu einem neuen, bewussteren Umgang mit Wasser zwingt. Die Dürresommer ab 2018 haben drastisch vor Augen geführt, wie wichtig es ist, Wasser in der Landschaft zu halten; dafür zu sorgen, dass Niederschläge nicht auf schnellstem Wege Richtung Meer abgeleitet werden, sondern im Boden versickern können. Und der wochenlange Dauerregen des letzten Winters hat wieder einmal bewiesen, dass kanalisierte Fließgewässer die Hochwassergefahr erhöhen.

graue Wassermassen, aus denen kahler Baum aufragt, im Hintergrund rote Ziegelhäuser
Hochwasser an der Luhe bei Winsen-Luhdorf im Januar 2024/ Foto © J.Romberg

Warum sie das auch in unserer Region tun, zeigt ein Blick auf eine historische Landkarte: Vor ihrem Ausbau floss die Luhe in malerischen Mäandern dahin, mit Altarmen und Feuchtwiesen, in die sie sich bei Hochwasser ausbreiten konnte. Heute ist sie auf weite Strecken nur noch ein Strich in der Landschaft.

Die Folgen dieser Veränderung erklärt Matthias Nickel, Verbandsingenieur des WaBo-Kreisverbands Harburg: „Früher brauchten Hochwasser an der Luhe drei Tage, um abzufließen; heute erreichen sie binnen 24 Stunden die Elbe.“

Matthias Nickel betreut seit 2016 die Gewässer in unserem Landkreis. Seit Amtsantritt hat er mit seinen Mitarbeitern etwa 180 lokale Renaturierungsmaßnahmen an verschiedenen Gewässerabschnitten umgesetzt: neue Kiesbetten verlegt, Uferbefestigungen abgebaut, stromlinienförmig ausgebaute Fließrinnen durch Einbau von „Störstellen“ aus Steinen oder Holzstämmen in belebende Turbulenzen versetzt. Er plant und realisiert diese Maßnahmen immer in enger Absprache mit den für Wasser und Naturschutz zuständigen Behörden auf Landes- und Kreisebene, mit Versorgern wie Hamburg Wasser und, besonders wichtig, mit den betroffenen Landbesitzern.

Und wenn man ihm zuhört, gewinnt man den Eindruck, dass unter den vielen für Wasser Zuständigen und mit Wasser arbeitenden trotz durchaus verschiedener Interessen ein neuer Konsens entstanden ist: dafür, dass Bäche und Flüsse nach Jahrzehnten intensiver Regulierung wieder freier fließen sollen – zum Wohl der Natur ebenso wie der Menschen an ihren Ufern.

Die Este wurde vor Kurzem in einem Abschnitt bei Welle wieder in ihr ursprüngliches, kurvenreiches Bett zurückverlegt. Der Nordbach dagegen könnte noch mehr Schwung vertragen – bislang fließt er auch im FFH-Gebiet Luhe/Untere Neetze schnurgerade durch die Wiesen bei Salzhausen / Fotos: © Landkreis Harburg, J.Romberg

Wir vom NABU Hanstedt-Salzhausen finden: Das kann man ruhig ein bisschen feiern. Schließlich kommt es nicht so oft vor, dass sich in puncto Naturschutz die Dinge zum Positiven wenden.

Wie lange wird es dauern, bis zumindest die Gewässer im Landkreis Harburg wieder in gutem Zustand sind?

Matthias Nickel möchte sich da lieber nicht festlegen. Denn die Zukunftsaufgabe Gewässerentwicklung ähnelt in vieler Hinsicht dem gegenwärtigen Zustand der meisten Heidebäche: starre Strukturen und Stauwehre, die nur mit Mühe zu entfernen sind, Geldzuflüsse, die eher tröpfeln als fließen und immer wieder auszutrocknen drohen.

Aber so wie das Wasser sich allmählich seinen Weg bahnt, arbeitet sich auch das informelle Bündnis der Harburger Fließgewässer-Freunde voran. Wir werden seine Fortschritte weiterhin verfolgen – und berichten, sobald ein Bach in unserer Nähe wieder zu rauschen beginnt.   

 

(Autorin: Johanna Romberg)

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Kommentare: 2
  • #1

    Detlef Gumz (Dienstag, 08 Oktober 2024 10:11)

    Ein wirklich sehr schöner, pointierter Beitrag zur Gewässerentwicklung mit gut gewählten Worten!
    Gratulation!
    Ein kleiner Hinweis:
    Bei der Libelle handelt es sich nicht um die Gebänderte sondern um die Blauflügel Prachtlibelle Calopteryx virgo, die noch eine bessere Wasserqualität anzeigt.
    Liebe Grüße und weiter so mit Optimismus für unsere Gewässer und unseren Wasserhaushalt!
    Detlef Gumz

  • #2

    Johanna (Dienstag, 08 Oktober 2024 11:38)

    Danke fürs Feedback, Herr Gumz! Hab es schon geändert. Man soll keine Tiere benennen, ohne sie vorher zu googeln – schon gar nicht, wenn es sich um Insekten handelt � �